Sonntag, 7. Dezember 2014

Ralph B. Mertin - Nachtigall im Winter [Beate]



Ein Waisenheim mit Internat in Deutschland des Jahres 1950. Viele der Jungen sind schwer traumatisiert, haben ihre Eltern oder kompletten Familien im Krieg verloren. Hier hin verschlägt es den Lehrer Choran, der die Wintergruppe zugeteilt bekommt. Schnell merkt er, dass die Nachtigallgruppe bevorzugt wird und verspricht seinen Jungs das zu ändern, wenn sie ihm bedingungslos folgen und zu einer Gruppe zusammen wachsen. Doch Choran hat seine eigenen Pläne, von denen die Jungs nichts wissen. So langsam beginnt die Wintergruppe sich zu verändern, auch auf Kosten anderer.....

Ich liebe Bücher die in einem geschlossenen System spielen. Ob es Internate, Waisenhäuser, Psychiatrien oder Gefängnisse sind, spielt keine große Rolle. Darum freute ich mich auch sehr, als ich das eBook "Nachtigall im Winter" angeboten bekam. Ich begann zu lesen und dachte sofort:" Mensch das kommt dir bekannt vor." Ich grübelte ein wenig und dann fiel mir ein, dass ich davon eine sehr lange Leseprobe auf Neobooks gelesen hatte. Ich hab mal nachgesehen, das war im Juli 2011. Schon damals war ich total gefesselt von dieser Geschichte und der Autor versprach mir, dass im Roman alle offenen Fragen beantwortet werden. Und dieses Versprechen hat Ralph B. Mertin gehalten.

Wie schon 2011 konnte mich die Geschichte sofort in ihren Bann schlagen. Ihr habt das sicherlich auch schon erlebt, dass ihr total sauer seid, weil ihr unbedingt weiter lesen wollt, euch aber die Augen zufallen und ihr notgedrungen das Buch aus der Hand legen müsst. So ging es mir heute Nacht. Aber nach dem aufstehen habe ich mir sofort wieder meinen Reader geschnappt und weiter gelesen.

Sehr gut werden die Jungs im Heim dargestellt. Wie die Schwachen von den Stärkeren gequält werden, wie alle wegsehen und froh sind, dass man sie in Ruhe lässt. Wie manche versuchen dazuzugehören, andere allem aus dem Weg gehen. Felix Rosen ist so ein armer Tropf, der von allen nur geärgert oder aber ignoriert wird. Dabei wünscht er sich doch so sehr Freunde. Selbst der Direktor hat ihn auf dem Kieker. Als Choran von den Jungs verlangt, zu einer Gruppe zusammenzuwachsen, ist Felix sehr glücklich darüber, denn nun muss auch er dazugehören. Choran schafft ein neues Feindbild außerhalb ihrer Gruppe, an dem sich die Kinder abreagieren können. Die Kinder verändern sich alle unter seiner Führung. Leider nicht zum Guten. 

Das Buch ist so unglaublich spannend und gut geschrieben, dass ich jetzt total traurig bin, weil ich schon zu Ende gelesen habe. Am Liebsten würde ich es sofort noch einmal lesen. Trotz der Mystischen Elemente die es in der Geschichte gibt, kam alles sehr authentisch bei mir an. In einige der Jungs konnte ich mich richtig hineinversetzen. 

Aber auch die Lehrer und der Direktor haben schwarze Flecken auf ihren Westen, die sie unbedingt verbergen wollen. Das macht das Ganze noch viel interessanter. Und da sich von Außen kaum jemand um das Waisenhaus Königspfalz kümmert, entwickeln sich hier die Dinge ganz anders als sie es außerhalb tun würden. 

Der bildhafte Schreibstil des Autors ist sehr flüssig und leicht zu lesen und formte Bilder in meinem Kopf, wie es ein Film nicht besser konnte. Ich sah die armen Winterkinder mit zerschlissener Kleidung herumlaufen, während die Nachtigallen aus dem Vollen schöpfen konnten. Ich spürte die Angst, die Hoffnung und die Trauer. Litt mit manchen und hasste andere. Ich fror mit ihnen im Winter in ihren Baracken und bekam kaum Luft im Sommer, weil die Sonne gnadenlos auf die Hütten knallte.

Dieses Buch hat wirklich alles was ein gutes Buch braucht. Darum vergebe ich 5 von 5 Byrons, den Favoritenstatus und eine absolute Leseempfehlung für alle. Ich freue mich sehr, dass Ralph B. Mertin einen Verlag für seine tolle Geschichte gefunden hat und hoffe, wir bekommen noch viele weitere Bücher von ihm zu lesen. Ich habe einen neuen Lieblingsautoren gefunden und hoffe, "Nachtigall im Winter" war keine Eintagsfliege. 

© Beate Senft